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Attachment Parenting – Wie wir unsere Bedürfnisse unter einen Hut bekommen Teil 1

Letztes Wochenende fand zum dritten Mal der Attachment Parenting Kongress statt. Leider ohne mich, denn ich war zu langsam und habe keine Karten mehr bekommen. Meine Einstellung dazu möchte ich aber trotzdem mit euch teilen.

„AP“ – Entstehung und Relevanz

Zu Deutsch: Bindungsorientierte Erziehung. Ein Begriff, der bereits in den 1990ern von dem amerikanischen Kinderarzt William Sears und seiner Frau Martha publik gemacht wurde.  1982 erschien zunächst sein Buch Creative Parenting, in dem die Grundthesen einer dem Kind zugewandten Erziehung vorgestellt wurden. Erst drei Jahre später wurde der Begriff „Attachment Parenting“ in Umlauf gebracht, nachdem Sears das Konzept hinsichtlich der Bindungstheorie überarbeitet hatte. Seit dem Jahre 2001 steht sein Buch The Attachment Parenting Book zum Verkauf und bildet die Grundlage für eine Lehre, die sich besonders in den letzten Jahren wachsender Aufmerksamkeit erfreut.

Allein auf Amazon gibt es auf der Suche nach entsprechenden Büchern mittlerweile 82 Treffer, wer den Begriff bei Google eingibt, hat die Auswahl zischen 30.000.000 Einträgen und auf Instagram gibt es 33.3OO Beiträge zu dem Hashtag #bedürfnisorientiert. Das internationale Pendant #attachmentparenting vereint sage und schreibe 336.000 Beiträge.

Wer Kinder hat, kommt an Attachment Parenting nur schwer vorbei. Und wie bei so ziemlich allem, was mit Kindererziehung zu tun hat, ist auch dieses Thema emotional besetzt und lädt zu teils hitzigen Diskussionen ein. Man könnte ganze Bücher über das die Entstehung, Grundlagen, Interpretation und Umsetzung des AP füllen – einige haben das auch getan. Ich möchte das an dieser Stelle aber nicht. Heute möchte ich erzählen, wie wir das ganz persönlich mit der Kindererziehung und dem Familienleben machen.

Der Bauch weist uns den Weg

 

Die Lehren des AP basieren im Grunde auf den „7 Baby-Bs“:

  1. Bonding – Bindungsaufbau nach der Geburt
  2. Stillen nach Bedarf
  3. Tragen des Babys
  4. Co-Sleeping
  5. Auf die Signale des Babys reagieren, dem Schreien zuvorkommen
  6. Kein Schlaftraining
  7. Die Bedürfnisse von allen Familienmitgliedern berücksichtigen

So genau weiß ich das selbst erst seit kurzem, denn was das Kinderbekommen und -haben betrifft, war und bleibe ich eher der intuitive Typ. Durch das Studium wusste ich damals genug über die Vorgänge bei der Geburt um mich sicher und vorbereitet zu fühlen. Die wenigen „Ratgeber“ schafften es eher aus meinem allgemeinen Interesse über das Thema in mein Bücherregal – und weil ich die Blogs der Autoren so gerne lese 😊.

Ich habe daher erst im Nachhinein festgestellt, dass unsere Art das tägliche Familienleben zu bestreiten einen Namen trägt. Die Auseinandersetzung mit der Lektüre hat unseren Umgang miteinander zwar nicht groß beeinflusst, aber sie ermutigt und bestärkt mich darin, weiterhin meinem Bauchgefühl zu folgen. Das scheint ja nicht ganz falsch zu liegen.

Beziehungen sind wie ein Marathon

Punkt 1: Bonding

„Oft heißt es, dass […] fehlendes Bonding die Ursache für ein viel schreiendes, nervöses Baby sein kann. Und dass im Umkehrschluss […] ein direkter Bindungsaufbau zu ruhigen und ausgeglichenen Kindern „führt“. Nun, bei uns war genau das Gegenteil der Fall.“

Schon während der Schwangerschaften fühlte ich mich sehr verbunden mit meinen Bauchbewohnern, habe viel mit ihnen geredet und sowohl mit der Hand auf dem Bauch, als auch emotional Kontakt zu ihnen aufgenommen. Da war es ganz natürlich und vermutlich auch reiner Mutterinstinkt, direkt nach der Geburt meine Babys hochzunehmen und zu kuscheln – sogar noch mit der Nabelschnur zwischen uns, die erst mit dem Kind auf meinem Bauch durchtrennt wurde. Ein fließender Übergang des Körperkontakts.

Beide waren auch wach und fit genug um sofort die Milchbar zu eröffnen. Außerdem sind wir bei dem Großen nach einer Nacht, bei der Kleinen nach knapp drei Stunden nach Hause gefahren. Ich hätte mich in einem Klinikzimmer einfach nicht wohl gefühlt, zumal wir kein Familienzimmer hatten. So konnten wir uns ganz ungestört kennenlernen und uns als Familie neu finden.

Mir ist bewusst, dass es vielen Mamas durch die Umstände der Geburt nicht möglich ist, direkt Kontakt mit ihrem Baby aufzunehmen. Durch die enorme Ausschüttung der Hormone (Prolaktin und Oxytocin), wird der Bindungsaufbau in den ersten Stunden zwar „erleichtert“, allerdings ist trotzdem nicht gleich alles verloren, wenn das Kennenlernen erst etwas später stattfindet. Schließlich spendiert uns das Gehirn bei jeder Kuscheleinheit einen schönen Hormoncocktail – um „nur“ die körperliche Komponente zu nennen. Eine feste und sichere Bindung aufzubauen, bedeutet viel mehr als das „Bonding nach der Geburt“. Es kann einen wichtigen Grundstein für die Aufnahme der Eltern-Kind-Beziehung legen, doch die Qualität und Intensität der Verbindung entwickelt sich mit jedem Kuscheln, mit jeder achtsamen Reaktion auf das Kind, mit dem Respekt und der Begegnung auf Augenhöhe – ein Leben lang.

Ich selbst habe das ganz eindrücklich am eigenen Leib lernen müssen. Oft heißt es, dass eine anstrengende Geburt oder fehlendes Bonding die Ursache für ein viel schreiendes, nervöses Baby sein können. Und dass im Umkehrschluss eine schöne, komplikationslose Geburt und ein direkter Bindungsaufbau zu ruhigen und ausgeglichenen Kindern „führen“. Nun, bei uns war genau das Gegenteil der Fall.

Leos Geburt war durch einen mehrstündigen und unerkannten Wehensturm sehr anstrengend. Mehr dazu könnt ihr auf meinem Blog unter Leos Geburt Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4 nachlesen.  Trotzdem war er ein absolutes „Anfängerbaby“. Natürlich musste Leo auch erst einmal in dieser Welt ankommen und hat einige Wochen abends geweint – Luft im Bauch und die Eindrücke des Tages verarbeiten – aber darüber hinaus war und ist er bis heute ein tiefenentspanntes kleines Kerlchen. Als er wenige Wochen alt war, habe ich ihn sogar mit in die Hörsäle, Nahtkurse etc. genommen. Einmal habe ich den Papa eine Woche in den Urlaub geschickt, während ich mit Baby zuhause für die mündliche Pädiatrie Prüfung gelernt habe.

 

 

 

 

Von dem Umstand, dass ich als Erstlingsmama und ohne das berühmte „Dorf“ um mich herum in den ersten Monaten ziemlich nervös und angespannt war, hat Leo sich ebenfalls nicht beeindrucken lassen. Er hat genug Ruhe und Ausgeglichenheit für uns beide ausgestrahlt und von Geburt an ein starkes Urvertrauen mitgebracht. Es hat sich leicht beruhigen lassen und mich als Mama bedingungslos geliebt. So, wie ich ihn seit dem ersten Tag geliebt habe. Trotz Erteilung von Auszeiten oder Schelte, wenn er mal wieder zu viel Unsinn getrieben hat 😊 – unser Band ist unerschütterlich. Auch von dem berühmtberüchtigten Fremdeln konnte bei ihm keine große Rede sein, er ließ sich problemlos von Arm zu Arm reichen, ohne Anzeichen von Unbehagen zu zeigen. Vielmehr hat er die Aufmerksamkeit genossen und geht auch heute sehr schnell auf andere zu. Leo und ich haben das, was man gemeinhin als „sichere Bindung“ bezeichnet.

„In der Theorie [waren das} die besten Startbedingungen für den Aufbau einer ungestörten und harmonischen Mutter-Tochter-Beziehung. In der Praxis sah das aber ganz anders aus. „

Ellas Geburt hingegen war, wie mein Mann immer sagt, eine Traumgeburt. Recht hat er. Morgens mit Wehen zum Kreißsaal gefahren, ab in die Wanne, Kind geboren, gekuschelt und zum Mittagessen waren wir schon wieder daheim. In der Theorie die besten Startbedingungen für den Aufbau einer ungestörten und harmonischen Mutter-Tochter-Beziehung. In der Praxis sah das aber ganz anders aus.

 

 

 

 

Ella hat geschrien. Viele, viele Stunden am Tag. Fast ein Jahr lang. Sie ließ sich außerdem nicht ablegen und brauchte dauerhaften Körperkontakt – am Liebsten nur mit der Mama und außerdem mit der Brust im Mund. Es gab keine körperlichen Ursachen dafür. Nichts war ihr Recht und nur ich konnte sie beruhigen. Mit viel Mühe, Geduld und Stillen. Sie brauchte meine permanente Aufmerksamkeit und forderte diese lautstark ein. Wehe, es kam Langeweile auf und wehe ich schaute einmal kurz woanders hin, während sie sich mit mir „unterhielt“.

„Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein“

Es hat lange gedauert, bis ich die Situation akzeptieren konnte und noch länger, bis ich verstanden hatte, was Ella brauchte. Ihre Signale richtig zu deuten und darauf einzugehen, ihre Sprache zu verstehen und mit ihr in Kontakt zu treten, ihr meine Liebe immer wieder aufs Neue zu beteuern und das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln – das hat fast ein Jahr gedauert. Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team. Heute sehe ich auf einen Blick, was in ihr vorgeht und unsere Verbindung zueinander ist – ich kann es nicht anders beschreiben – intensiv. Genauso stark, wie meine Bindung zu Leo und doch ganz anders. Die beiden könnten in dieser Hinsicht unterschiedlicher nicht sein.

Ich für mich denke, dass das Bonding eine wertvolle Bereicherung für die Mutter-Kind-Bindung sein kann. Doch mindestens genauso, wenn nicht sogar wichtiger, ist das Wesen des Kindes selbst. Ebenso das Wesen der Mutter und ihre Fähigkeit, auf die Signale und Bedürfnisse ihres Babys einzugehen.

Denn es ist doch so: Beziehungen, auch die zwischen Mutter und Kind, sind wie ein Hand in Hand gelaufener Marathon. Wer mit der anfänglichen Adrenalinausschüttung einen Sprint hinlegt, kann zwar ein wenig Zeit gutmachen. Doch am Ende zählt das, was auf der gesamten Strecke passiert. Es braucht Hingabe, Durchhaltevermögen, Motivation und Unterstützung. Manche Strecken sind voller Hürden, manche verlaufen glatt und eben. Jedem geht irgendwann mal die Puste aus, oder stolpert. Das Wichtigste jedoch ist, dass die kleine Hand dabei immer in der großen bleibt.

#respektiertekindheit

In Teil 2 erzähle ich euch, wie wir das mit dem Stillen und Tragen so machen.

3 Gedanken zu „Attachment Parenting – Wie wir unsere Bedürfnisse unter einen Hut bekommen Teil 1“

  1. Hallo Alexandra,
    Ich bin gestern durch deinen Beitrag bei “vonguteneltern“ auf deinen Blog aufmerksam geworden. Da mein Sohn schon schlief und mein Mann krank im Bett lag, konnte ich gestern Abend mich ausnahmsweise mal ganz alleine meinen Bedürfnissen zuwenden 😉 und habe alle deine Beiträge gelesen. Zum Glück sind es noch nicht soo viele 😀
    Mir gefällt deine Idee, mehr Realität zu zeigen, sehr gut! Es sind ja doch überall geschönte Fotos – und man selbst traut sich kaum noch, ein süßes Foto vom Kind in der unaufgeräumten Wohnung an die eigene Familie zu verschicken. Denn ja, bei uns sieht es ziemlich genau so aus wie bei euch 😉
    Bin gespannt, wie sich dieses “Projekt“ weiterentwickelt! Ich bin auf jeden Fall dabei 🙂

    Der Blogtitel ist der Hammer – auf diesen Spruch sind wir noch nicht gekommen! Den werde ich beim nächsten Mal meiner Schwiegermutter entgegenschmettern 😀

    Viele Grüße,
    Anja

    1. Liebe Anja,
      deine Worte gehen bei mir runter wie Butter, vielen lieben Dank! Es ist schön zu hören, dass ich doch schon den ein oder anderen da draußen erreiche und vielleicht ein bisschen Mut machen kann. Zum Blognamen. ich habe mehrere Tage überlegt, wie wir uns nennen wollen. Es gibt ja schon so viele Blogs etc. und es sollte schließlich zum Tenor des Blogs passen. Wir hatten die Webseite schon fertig eingerichtet, als mir #untermdreckistssauber plötzlich einfiel. So ist das mit den guten Ideen bei mir, die kommen immer ganz unvermittelt.
      Liebe Grüße zurück und willkommen auf unserer Reise!
      Alexandra

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