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Rufmord

Kinderbilder im Netz: wie vorbildlich!

Immer wieder kocht sie hoch, die Diskussion über Kinderbilder im Netz. Lange waren Pascal und ich uns einig: Bilder von Ella und Leo sind nur für die Familie und engste Freunde sichtbar. Bis ich mich vor einigen Monaten intensiv damit beschäftigt habe. Das Ergebnis: diese Zeilen. Dieser Blog :). Warum ich meine Meinung so radikal geändert habe? Darum:

Irrungen und Wirrungen

Als ich 2015 zum ersten Mal Mama wurde, hatte ich mir über das Stillen und Kinderhaben nicht sonderlich viele Gedanken gemacht. Wie bei so vielen werdenden Eltern, stand bei uns viel mehr die anstehende Geburt im Vordergrund. Schließlich gibt es ja diese Geburtsvorbereitungskurse, von denen alle sprechen und die von der Kasse bezahlt werden. Über die Zeit danach, in der sich alles auf den Kopf stellt – über den ganzen Rest unseres Lebens – wird nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Oder unterhaltsame aber meist realitätsferne Szenen in Film und Fernsehen gedreht…

Was mir als junge Mama sehr schnell fehlte, war ein Vorbild. Menschen, die mir zeigen: Ja, dieses Chaos ist normal!

Großstadt-Kleinfamilie: Wo ist mein Dorf?

Scheinbar fiebern alle auf den Tag X zu. Nach dem Motto: Wenn es erstmal raus ist, werden wir das Kindchen schon schaukeln. Wie das Schaukeln in Wirlkichkeit ausseht, davon sieht man bei uns in Deutschland zur Zeit herzlich wenig. Früher lebten die meisten Familien eng beieinander, sodass sämtliche Abschnitte des Lebens für alle sichtbar und normal waren. Es brauchte keine Kurse, um zu wissen wie ein Kind geboren wird, was „Wochenbett“ bedeutet, wie kleine Kinder sich verhalten, aber auch wie man Kranke pflegt und die Sterbenden auf ihrem letzten Weg begleitet. All das gehörte einfach dazu. Das (Familien)leben mit all seinen Höhen und Tiefen, fand mitten unter uns statt. Mitten in unserer Gesellschaft.

Aus den natürlichsten und elementarsten Episoden des Lebens sind im Laufe der letzten Jahrzehnte Tabus oder Randerscheinungen geworden.

Unseren ersten und letzen Atemzug nehmen die meisten von uns heute im Krankenhaus oder ähnlichen Einrichtungen. Unsere Kinder dürfen zwar laut sein, aber bitte nur in der Kita oder im eigenen Zuhause. Politik und Gesellschaft bemühen sich sehr, junge Familien zu unterstützen – indem die Betreuungszeiten immer weiter ausgebaut werden und die Eltern möglichst schnell und effizient weiter unsere Wirtschaft ankurbeln können. Ganz toll ist auch die Änderung im Mutterschutzgesetz: Wir streichen einfach großzügig die freien Stillpausen für Mütter am Arbeitsplatz. Natürlich nur, damit diese dem Arbeitgeber kein Dorn mehr im Auge sind. Welch ein Fortschritt…

Kein Wunder also, dass viele neugeborenen Familien ziemlich ins Schlingern geraten. Weit und breit kein Vorbild in Sicht, selten helfende Hände und aufmunternde Worte. Vielleicht schafft es der ein oder andere großmütterliche Rat in unser Ohr. Ob der aber wirklich „ratsam“ ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Wer also macht es mir vor? An wem kann ich mich orientieren?

Das Internet: Ein Spiegel unserer Gesellschaft?

Eines ist uns wohl allen klar: ein beträchtlicher Teil unseres Lebens findet mittlerweile online statt. Wie in der „realen“ Welt, birgt natürlich auch der virtuelle Raum Gefahren und Risiken. Doch das Internet ist auch voller Chancen. Wenn wir es schaffen, uns von der Angst des Unbekannten frei zu machen, dann können wir das Internet als das sehen was es ist: ein hervorragendes Instrument, ein Medium mit dem wir uns Vernetzen und in Verbindung setzten können. Ein Sprachrohr, dass auch die frischgebackene, (einsame?) Mama auf der Wohnzimmercouch erreicht. Sie muss nur wissen, dass wir da sind!

Zerrbilder

Genau hier liegt nämlich der Hund begraben. Was sehen wir denn, wenn wir das Handy oder den Fernseher anschalten? Wie verhalten sich die Menschen auf der Straße, wenn ich mit schreienden Kindern und drei Händen zu wenig „die Ruhe störe“? Wie Familienfreundlich, wie stillfreundlich ist Deutschland eigentlich?

Recht unfreundlich, so ist mein Eindruck. Familie, Kindheit – das passiert hinter verschlossenen Türen. Es fühlt sich so an, als hinge überall in der Luft ein „Bitte nicht stören“ Schild, sobald ich unsere Wohnung verlasse. Warum ist das so?

Gesellschaftstauglich? Nur gesunde und erwerbstätige Erwachsene!

Der Karrieremann, der Sportler, die Karrierefrau, die gute Hausfrau, das sexy Unterwäschemodel. Die bekommen wir zu Gesicht. Sie springen uns förmlich aus jeder Ecke entgegen. Virtuell und analog. Aber: ist das denn echt? Sieht so der Querschnitt unserer Bevölkerung aus und was macht es mit uns, ständig mit diesen Bildern konfrontiert zu werden?

Sollen das unsere Vorbilder sein? Die Vorbilder unserer Kinder?

Was ist für uns „normal“?

Normalität bezeichnet […] das Selbstverständliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss. Dieses Selbstverständliche betrifft soziale Normen und konkrete Verhaltensweisen von Menschen. Es wird durch Erziehung und Sozialisation vermittelt.“ *1

Da stelle ich mir doch sofort die Frage: Was ist denn für uns selbstverständlich? Stillen in der Öffentlichkeit eher nicht. Menschen mit Behinderungen freundlich und bedenkenlos zu begegnen ebenso wenig. Die ungestylten Eltern mit X Kindern im Schlepptau sind vielleicht akzeptabel, solange sie sich unauffälig verhalten oder die Begrenzung des örtlichen Spielplatzes nicht übertreten. Hauptsache, die stören nicht!

Woher kommt diese bekloppte Einstellung?

Sozialisation. Eigentlich ist der Mensch von Natur aus ein Soziales Wesen. Durch Zusammenhalt und Zusammenarbeit hat unsere Spezies überlebt und sich gegen viele Konkurrenten durchgesetzt. Dank unseres relativ kompfortablen Lebensstandards heute, rückt diese Fähigkeit – bzw. die Notwendigkeit des Miteinanders – scheinbar in den Hintergrund. Die soziale Dynamik einer Gesellschaft ist komplex. Gerade befinden wir uns aber, so sehe ich es, auf einem ziemlichen Egotrip. „Normal“ und „Erwartungsgemäß“ ist es, Karriere zu machen. Keine Schwäche zu zeigen, keinem zur Last zu fallen. Dem „Schönheitsideal“ der Anderen zu entsprechen. Wenn man diese Normen erfüllt, gehört man dazu. Und kickt den Großteil unserer Mitmenschen – irgendwann auch sich selbst – ins Aus.

Normen werden häufig aus ethisch-moralischen Zielvorstellungen (Werten) abgeleitet. Verhält sich jemand entsprechend einer Norm, ohne dabei bewusst an die mit dieser Norm verbundenen Sanktionen zu denken, so hat er die Norm internalisiert. „*2

Wir haben uns eine Art des Gegeneinanders angewöhnt und das Bild des Karrieremenschen regelrecht internalisiert. Wir tragen das Schild „Bitte nicht Stören! in uns selbst. Weil wir mit dieser Norm durch Wort und Bild regelrecht überflutet werden.

Und haben wir das erstmal verinnerlicht, ist es ganz schön schwer, diese Einstellung und das Verhalten sich selbst und Anderen gegenüber wieder abzulegen. Auf die eigene Stimme zu hören. So geben wir munter die bescheuersten Normen weiter an unsere Kinder. Und da sind wir wieder:

Das Selbstverständliche wird durch Erziehung und Sozialisation vermittelt.

Kinderbilder im Netz: wie vorbildlich!

Und hier ist sie, meine Antwort auf die große Frage: Gehören Kinderbilder ins Netz? JA! Unbedingt!

Denn es geht um so viel mehr, als nur ein paar Bilder im Internet. Es geht darum, das Leben mit Kindern, die Familien und auch die alten, kranken, „besonderen“ Menschen wieder in den Fokus zu stellen. Es geht darum, unsere Vielfalt sichtbar zu machen. Denn das ist echt, das ist normal!

Wir werden nur dann wahr genommen, ernst genommen, wenn wir uns zeigen. Wenn wir laut sind und auf uns aufmerksam machen. Auf der Straße und im Internet. Je mehr und je bunter, desto besser. Wir Eltern schwimmen jetzt noch gegen den Strom. Wenn unsere Kinder aber in ein paar Jahrzehnten völlig erschöpft oder mit Stolz geschwellter Brust aus den Kreißsäälen/Geburtshäusern oder den eigenen vier Wänden treten, dann werden sie hoffentlich getragen von einem breiten Strom des Miteinanders und der Familienfreundlichkeit.

Dann wissen unsere Töchter, dass man sich nach der Geburt durchaus beschissen und unfähig fühlen kann. Dass man sich nicht verstecken muss, wenn man die kindlichen Bedürfnisse nach Geborgenheit und warmer Milch im Bauch stillt. Dann ist es selbstverständlich und ganz normal, dass Eltern besonders in den ersten Jahren die Kinder an die erste und die Arbeit an die letzte Stelle stellen. Wichtige Konferenzen finden zu familienfreundlichen Zeiten statt. Öffentliche Verkehrsmittel und Gebäude sind dann barrierefrei. Die Liste ist lang und wir haben sie in der Hand.

Wenn wir nur leise jammern, dass Deutschland so furchtbar kinderfeindlich ist, die Familienpolitik ein Witz und der gesellschaftliche Stand der Familie eher ein Ständchen – dann wird sich auch nichts ändern.

Wenn wir uns und unsere Kinder verstecken, dann werden sie auch nicht gesehen. Dann ist das Kindsein und Kinderhaben eben auch nicht normal.

Übrigens wurde erst kürzlich eine Studie veröffentlicht, die den Effekt von Stillbildern und Posts ( z.B. #normalizebreastfeeding und #stillenistliebe) via Instagram auf die Einstellung zum Stillen untersucht. Das Ergebnis kurz und knapp: Noch gibt es keine signifikante „Verbesserung“, allerdings kommt der Stein gerade erst so richtig ins Rollen. Stillfreundlichkeit, Familienfeundlichkeit – wenn uns diese Themen weiterhin überall in den sozialen Medien begegnen, finden sie auch zunehmend den Weg in unsere Köpfe und in unsere Herzen.

#langzeitstillen

Kinderbilder im Netz: Authentisch aber nicht filterfrei

Wichtig ist aber auch, dass wir uns mit unseren Bildern und Worten nicht gegenseitig unter Druck setzen. Die geleckten Heileweltprofile finde ich im besten Falle nervig, im schlimmsten Falle kontraproduktiv. Mit ungeschönter Echtheit lässt sich halt kein Geld verdienen, doch jedes Profil a la #fürmehrrealitätaufinstagram, jeder Familienblog ist eine Investition in unsere emotionale Gesundheit und in unsere Zukunft.

Mit Authentizität meine ich allerdings keineswegs, dass ich ohne nachzudenken alles poste, dass mir vor die Linse oder in den Sinn kommt. Auf diesem Blog gewähre ich euch einen Blick in unser Leben, in Alltagssituationen und meine Gedanken und Gefühle. Alles was ich zeige ist echt, von gestellten Bildern oder Mainstreamtexten halte ich nichts. Aber nicht alles was bei uns passiert, nicht jedes Bild wird auch gleich verbloggt. Ich entscheide ganz bewusst, was ihr von uns sehen könnt. Denn einmal veröffentlicht, gibt es im Internet nur schwer ein Zurück.

Bildrechte, Persönlichkeitsrechte –

auch die meiner Kinder habe ich stets im Hinterkopf. Bilder in der Badewanne oder auf der Toilette, weinende oder wütende Kinder wird es hier nicht geben. Mir allein gehören zwar die Rechte an sämtlichen Bildern auf diesem Blog, aber was ihr Leser privat damit macht, das kann ich nicht kontrollieren. Wer komprimittierendes Material sucht, wird hier also nicht fündig. Wer das echte Leben sucht, sehr wohl.

Auch in meinen Texten geht es größtenteils um mich als Mama und als Mensch. Ja, wir streiten oft und so wirklich ordentlich ist es bei uns nie. Es gibt öfters mal Pommes und Würstchen und manchmal stehe ich ratlos vor meinen schreienden Kindern und schreie einfach zurück. Wem das nicht passt, kann sich bei mir beschweren. Ob aber z.B. einer meiner Kinder ein Weltmeister im Nasenpopeln ist, das bleibt unser Geheimnis.

Missbrauch

Oft höre ich die Sorge, dass ich meine Kinder in große Gefahr begebe, wenn ich Bilder von ihnen online stelle. Genau diese Sorge hat mich auch lange davon abgehalten und ich kann jeden verstehen, der seine Bilder nur im privatsphäremodus oder gar nicht hochlädt. Tatsächlich bin ich nämlich ein abslouter Hoschenschisser, was meine Familie betrifft. Bei jedem Abschied am Morgen und vor jeder Autofahrt habe ich Angst, dass ihnen etwas zustossen könnte. Würde ich jeder meiner Ängste nachgeben, dann ließe ich meine drei liebsten Menschen wohl nur im dicksten Panzer aus dem Haus. Und ich würde jedes schubsende Kind gepfelgt zusammenfalten. Ich käme vor lauter Angst nicht mehr dazu, das Leben zu genießen.

Tatsächlich geht die größte Gefahr für Übergriffe vom nächsten Umfeld aus. Der dunkle Mann auf der anderen Seite des Internets ist nicht derjenige, der uns schadet. Es ist der/die NachbarIn, der Onkel oder die psychisch kranke Lehrerin (kein Witz, selbst erlebt). Hier sollten wir Augen und Ohren offenhalten. Und wie gesagt, was ich online stelle, kontrolliere ich selbst mit besten Wissen und Gewissen. Kleine Unterwäschemodels in Katalogen und plantschende Kinder im Fernsehen bieten meiner Meinung nach viel eher Missbrauchspotential, als unsere Alltagsbilder.

Mobbing

Jede Mama und jeder Papa möchte seine Kinder vor körperlichen und seelischen Verletzungen schützen. Ob jemand tatsächlich zum „Mobbingopfer“ wird, dass haben wir in Wirklichkeit kaum in der Hand. Oft kann sich im nachhinein niemand erklären, warum es ausgerechnet diese Person getroffen hat. Es gibt 1001 „Gründe“ aus denen es Person X trifft und nicht Person Y: Wie auch immer geartete Andersartigkeit, Kleidung und materielle Dinge, das Einkommen oder die soziale/politische Haltung (der Eltern), die Form der Nasenspitze oder die falsche Farbe der Socken. Dass sich Kinder oder Jugendliche die Mühe machen, nach Bildern aus der Kindheit zu suchen (von denen es dann von so ziemlich jedem welche geben wird), statt sich auf das aktuelle Bildmaterial zu stürzen, ist unwahrscheinlich.

Zumal bei der aktiven Suche nach Mobbingmaterial der erste Schritt seitens der Tätet längst getan ist. Ist ein Opfer erstmal gewählt, ist es egal womit ihm um die Ohren gehauen wird – gehauen wird dann nämlich in jedem Fall!

Die beste „Vorsorge“ die wir für unsere Kinder treffen können, ist der bewusste Umgang mit den sozialen Medien. Wir können sie von Anfang an in ihrem Selbstvertrauen stärken und auch hier genau hinhören- und sehen. Verhält sich mein Kind anders, ist es stiller oder aggressiver geworden? Dass ein gut im sozialen Gefüge verankertem Kind echte Mobbingefahr durch alte Kinderbilder im Netz droht, ist eine diffuse aber höchst unbegründete Angst.

Familien an die Front! #fürdiekinder

Ja, Kinder gehören ins Netz und auf die Straße. Wenn wir gewisse Regeln beachten, gefährden wir damit nicht unsere Sicherheit, sondern stärken vielmehr unseren eigenen Stand in der Gesellschaft und in der Politik. Wir nehmen frischgebackenen Eltern eine große Last von den Schultern, indem wir aufhören falsche Vorstellungen und Erwartungen zu verbreiten, sondern das Leben (mit Kindern) genau so zeigen wie es ist. Laut, fordernd, anstrengend und absolut bereichernd! Einfach ganz normal.

Jetzt bin ich neurierig! Was haltet ihr von Kinderbildern oder privaten Einblicken ins heimische Chaos?

Quellen:

*1 Definition Normalität

*2 Definition Soziale Norm

2 Gedanken zu „Kinderbilder im Netz: wie vorbildlich!“

  1. DANKE! 🙂 Du hast so Recht mit allem was du schreibst! Trifft den Nagel echt auf den Kopf! Vor allem die Zeilen mit „Regierung“ und „…gern müssen die Wirtschaft ankurbeln“ sind die schonungslose Wahrheit!
    Manchmal habe ich den Eindruck unsere arbeitswelt lässt sich fast mit der Milch kuhhaltung vergleichen. Das Kalb/Kind bloß schnell weg von der Mutter damit die Mutter weiter ausgebeutet werden kann…. erschreckend!

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