Viele von euch haben es sicher mitbekommen: Ende der letzen Woche hat das Anlegen der Sea Watch 3 in Lampedusa (Italien) für großen Aufruhr gesorgt. Oder vielmehr die darauf folgende Festnahme der Capitänin Carola Rackete. Die drohende Anklage: Verstoß gegen das Italienische Gesetz – weil sie 40 lybische Flüchtlinge nach knapp zwei Wochen „Kampf“ sicher an Land gebracht hat. Ihre „Belohnung“: möglicherweise mehrere Jahre Haft. Damit es nicht so weit kommt heißt es nun: Free Captain Rackete!
Menschenrechte vs. politisches Kräftemessen – Free Captain Rackete!
Ich gebe frei heraus zu: die italienische Gesetzgebung ist nicht mein Steckenpferd, ebenso das internationale Seerecht. Aber ganz ehrlich, in diesem Falle sollten Gesetze solcher Art auch gar keine große Rolle spielen! Es reicht der gesunde Menschenverstand und ein Herz aus Fleisch und Blut. Es geht hier um Menschen, die um ihr eigenes und das Leben ihrer Kinder kämpfen. Die in einem Land geboren wurden, in dem Zustände herrschen die wir uns kaum ausmalen können.
Einer der Vorwürfe lautet: Kapitänin Rackete hätte die Menschen zwar aus der See retten dürfen – aber dann ganz schnell in Lybien absetzen müssen. Zurück in den Bürgerkrieg, aus der die Väter, Mütter und Kinder geflüchtet sind. In der Theorie sollen solche Vorgaben eine staatliche Förderung von „Schleppern“ unterbinden. Aber ich frage mich: wo ist denn hier die Relation? Um was genau geht es denn? Um die Menschen oder um das Geld? Selbst wenn Kapitänin Rackete alles aufgebauscht haben sollte, um möglichst viel PR zu bekommen – so what? Ich finde es verdammt nochmal richtig, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Schicksale der Menschen in „Flüchtlingsländern“ zu richten!
Westlicher Wohlstand vs. Realität
Denn eines sollte uns klar sein: Unser Leben hier ist ein verdammtes Privileg. Wenn wir jammern, dann immer auf hohem Niveau. Dabei vergessen oder verdrängen wir, dass über 30 Millionen Menschen weltweit in Kriesengebieten um ihr Leben kämpfen:
- Syrien (Bürgerkrieg)
- Kolumbien (Drogenkriege, Paramilitärs)
- die Demokratische Republik Kongo (Krieg, Bürgerkrieg)
- Afgahnistan (Krieg, Radikalislamisten)
- Sudan (Bürgerkrieg)
- Somalia (Bürgerkrieg)
- Irak (Krieg, Bürgerkrieg)
- die Zentralafrikanische Republik (Bürgerkrieg)
- Hungersnöte in allen genannten und vielen weiteren Regionen
Ihre einzige Hoffung ist die Flucht in ein anderes Land. Eine Hoffnung, für die die Familien alles geben und ihr Leben aufs Spiel sezten – und dabei all zu oft verlieren. Väter, Mütter, Töchter, Söhne. Alte Menschen und kleine Kinder. Nur wenige Tage bevor die Sea Watch 3 an Land ging, geisterte das Bild einer ertunkenen Flüchtlingsfamile durch das Internet und hat für viel Betroffenheit und Empörung gesorgt. Ich selbst wollte das Bild nicht sehen, bin dann aber doch auf Facebook darüber gestolpert. Ja, es ist grausam was da draußem passiert. Doch es ist grausamer Alltag. Keine einzelne Tragödie, sondern das Schicksal ganzer Bevölkerungsgruppen. Es tut weh, hinzusehen. Doch wir dürfen die Augen davor nicht verschließen!
Free Captain Rackete! – Lebensretterin statt Kriminelle
In welcher Welt leben wir bitte? Wie kann es sein, dass eine Lebensretterin für ihren Mut und ihr Verantwortungsbewusstsein ins Gefängnis gehen soll? Dass sie vielleicht härter bestraft wird, als jemand der andere Menschen verletzt? Seit wann ist das Retten von Menschenleben kriminell?
Es ist schon fast peinlich, wie sehr sich Italien und andere Länder davor drücken wollen, diese Menschen in Not aufzunehmen. Richtig, Italiens Finanzlage ist heikel, die politische ebenso. Aber es handelt sich hier doch nicht um irgendwelche Maschinen, die gewartet werden müssen und in die keiner Investieren will. Es sind Menschen, die bis auf ihren eigenen Körper alles verloren haben. Kriminell ist nicht Carola Racketes Rettungsaktion, sondern ihre Festnahme, die Beschlagnahme der Sea Watch 3 und der Umgang mit den Flüchtlingen – als wären sie heiße Kartoffeln oder giftiger Atommüll. Bloß nicht anfassen, sonst muss ich mich drum kümmern. Traurig, erbärmlich, und völlig verantwortungslos.
Was wir tun können: Free Captain Rackete!
Heute (am 02. Juli) wird Kapitänin Rackete zur Anhörung gebracht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen im Laufe der Ermittlungen und des Prozesses so einige Kosten auf sie zu. Ebenso ist fraglich, ob die Sea Watch 3 wieder freigegeben wird. Und selbst wenn dies der Fall sein wird – es gibt ohnehin zu wenig Rettungsschiffe und finanzielle Mittel (z.B für Rettungswesten, Ausrüstung etc.). Aus diesem Grund haben die TV Moderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf einen Spendenpool eingerichtet. Das Geld soll die Gerichtskosten decken und Sea Watch finanziell unter die Arme greifen. Außerdem könnt ihr direkt an Sea Watch spenden. Dazu reicht eine SMS mit „seawatch5“ oder „seawatch10“ (also 5 oder 10 €) an die 81190.
Außerdem gibt es die Petition Freiheit für Frau Rackete #freecarola, die ihr einfach nur zu unterzeichnen braucht. Wer weiter aktiv werden möchte, kann sich den bundesweiten Demos am 06. Juli anschließen. Mehr dazu gibt es auf der Website Seebrücke.
Verantwortung und Menschlichkeit
Ich muss gestehen, dass ich mich Anfang meiner 20er nicht viel um andere Menschen geschert und nicht über den Tellerrand geschaut habe. Ich hatte Essen und ein Dach über dem Kopf, einen Studienplatz und einen Nebenjob mit dem ich mich über Wasser halten konnte. Erst als ich Mama wurde und in der Klinik in Berührung mit wirklich kranken und sterbende Menschen gekommen bin, hat sich das geändert. Ich habe nun eine vage Vorstellung, wie es sein muss sich im wahrsten Sinne nicht über Wasser halten zu können. Wie es sich anfühlt, Familienmitglieder direkt nehen sich sterben zu sehen. Das eigene Kind in ein Leben voller Elend zu gebären und es nicht vor dem Tod retten zu können. Wie unfassbar es sein muss, in größter Not aus dem Meer gefischt um direkt zurück in die Vorhölle geworfen zu werden – weil die Kapitänin Angst haben muss, wegen illegaler Schlepperei angeklat zu werden. Weil die Menschen es sich in ihrer Wohlstandsblase gemütlich machen und ein paar Euro für Rettungswesten für rausgeschmissenes Geld betrachten.
Ich wollte das Bild der ertrunken Flüchtlingsfamilie nicht sehen. Weil es mir weh tut. Weil es mich aus meiner Kompfortzone reißt. Das ist unangenehm und ich wollte mich vor den Gefühlen schützen. Doch vielleicht ist gerade das nötig. Uns geht es gut, und genau deswegen tragen wir Verantwortung. Wenn wir in unserem Heileweltgefühl verharren und uns für die Realität taub und blind stellen, wird sich nichts ändern. (Das gilt übrigens nicht nur für die Flüchtlings- sondern auch für die Klimakrise!)
Also Augen auf, Herz auf, und Mund auf! Für die Menschheit und für die Menschlicheit. Free Captain Rackete!
Zum weiterlesen:
Wie die Vereinigten Staaten 937 jüdische Flüchtlinge abwiesen