Ich hatte es am Wochenende angekündigt: es brodelt in mir. Schon wieder. Diesmal geht es allerdings nicht (nur) um Familien und kleine Selbstständige, sondern um uns Medizinstudenten. Besonders diejenigen, die nun nach mindestens 100 Tagen intensivster Lernzeit ihr schriftliches Examen (M2) ablegen, und dann ins Praktische Jahr einsteigen würden. Die Bedingungen für PJler sind auch ohne Corona schon teilweise zum Heulen. Dank Bundestag und Bundesrat sind sie nun katastrophal.
Der harte Weg zur Approbation
Das Medizinstudium ist eine kleine Welt für sich, daher erkläre ich kurz wie man vom Ersti zum Arzt wird. Das Studium baut sich (mit kleinen Variationen) aus 4-5 Semestern Vorklinik und ca 6 Semester Klinischem Abschnitt auf. Nach der Vorklinik legt man das M1, das erste Staatsexamen ab. Es besteht aus einer Reihe schriftlicher und mündlicher Prüfungen. Ab dann könnte man sich candmed nennen. So marschiert man durch den Klinischen Abschnitt und bereitet sich (wer keinen Job und Kinder hat, die brauchen wesentlich länger) 100 Tage auf das M2, das zweite und schriftliche Staatsexamen vor. Diese 100 Tage bestehen aus 12h hardcore Lernen. Kein Witz. Nach bestandenem M2 geht es ins PJ, das praktische Jahr. Da arbeiten wir 40h die Woche, ohne Anspruch auf Bezahlung und mit insgesamt 30 Tagen Fehlzeit. Das ist Urlaub und Krank – wer also krank ist oder kranke Kinder hat, ist ein bisschen am Arsch. Nach dem PJ kommt dann die mündliche Prüfung (M3), bevor man sich endlich Arzt nennen darf. Vor 6 Jahren gab es noch das „Hammerexamen“. Das bedeutet, dass erst das M2 und M3 in sehr kurzer Abfolge abgelegt werden mussten. Nicht umsonst wurde dies 2014 abgeschafft. Dann kam Corona und eine kopf- und herzlose Entscheidung.
Wir sind kein Kanonenfutter!
Die jetzigen 10. Semester bereiten sich seit mehreren Monaten auf ihr M2 vor, in wenigen Tagen!! wäre es soweit. Mindestens 100 sehr harte Tage lang haben sich unzählige Studenten auf diese Prüfung vorbereitet. Mit einem Schlag stehen sie nun da – erst mit Ungewissheit, dann mit ungläubiger Gewissheit: die Prüfung wird verschoben. Auf 2021. Zurück zum Hammerexamen. Mit dann noch weniger Lernzeit. Und nein, diese schiere Unmenge an Fakten kann niemand ein Jahr lang im Hirn behalten. Wer kein fotografisches Gedächtnis hat, ist angeschmiert. Und zwar richtig. Warum das Ganze fragt man sich da. Denn die schriftliche Prüfung wird sowieso mit einem Mindestabstand von 2 Metern zum nächsten Kandidaten abgelegt. Nein das ist nicht der Grund. Vielmehr sollen wir als Kanonenfutter an vorderster Front eingesetzt werden. Werden wir eh, nun aber etwas früher als normalerweise. Unfassbar, was wir in kauf nehmen müssen, um ein paar Wochen früher verheizt zu werden. Wer glaubt, das war es schon: es kommt noch besser!
Quarantäne? Dein Problem!
Ein PJler ist meist Blödi für alles und Bindeglied zwischen allen Gruppen, die sich im Krankenhaus so tummeln. Sie haben sehr viel Kontakt zu Ärzten, Pflegepersonal und den Patienten. Die Wahrscheinlichkeit, sich da was einzufangen, gar ein Corönchen, ist extrem hoch. Wer Glück hat, kommt da gleich mehrfach ins Vergnügen einer Quarantäne und ja das geht. Denn wer nicht gleich beim erstem Mal tatsächlich nachweisbar an COVID 19 erkrankt, darf munter weiter in Quarantäne geschickt werden, wann immer Kontakt zu einer positiv getesteten Person besteht. Man kann sich also auf X mal 2 Wochen Zwangspause freuen, die Achtung: Teil der 30 Fehltage sind. In einem Jahr darf man also nach wie vor nur 30 Tage nicht erscheinen, egal wie oft man durch Einsatz an der Front zuhause bleiben muss. Die überschüssige Zeit muss am Ende nachgeholt werden und wird von der ohnehin extrem knappen Lernzeit fürs Hammerexamen abgezogen. Anders gesagt: 100 Tage (oder mehr!) umsonst gelernt, und am Ende NOCH weniger Vorbereitungszeit als beim abgeschafften Hammerexamen. Ich frage mich, ob die „schlauen Köpfe“ schon so alt, sind, dass sie sich nicht mehr an ihre Lehrzeit erinnern können, oder jemals etwas vergleichbares durchmachen mussten. Oder ob sie so unglaublich ignorant und unverantwortlich sind, wie es scheint.
Vollzeitstelle ohne Bezahlung
Es gibt keine bundesweite Regelung und ob oder wie hoch die PJler für ihre Vollzeitarbeit bezahlt werden. Nun ist es natürlich schön, ein Dach überm Kopf und Essen auf dem Tisch zu haben. Woher das Geld dafür kommt, interessiert niemanden. Dieser Missstand lebt schon erstaunlich lange und wird auch jetzt nicht verbessert. Von wegen Gefahrenzuschlag und so… Zudem wird das Recht auf ein Wahltertial und den Einsaztort noch weiter beschnitten. Wir sind gesichtsloser Kleber, der das zugrundegerichtete Gesundheitssystem nun kitten soll. Da wo wir gebraucht werden, werden wir hingezwungen. Macht nichts, wenn wir keinen Wohnraum finden. Unter der Brücke schlafen ist ohne Honorar sowieso naheliegend.
Die Politik schlägt uns ins Gesicht
Wo wir gerade über Honorar sprechen: vor einigen Tagen stellten sich Laschet und Spahn dummdreist und unverschämt vor die Kamera und lobten den freiwilligen Einsatz der Medizinstudenten. Ein Einsatz, der HONORIERT WERDEN MÜSSE! Kein Ton über die Änderung der Prüfungsordnung, die entgegen aller Empfehlungen durchgedrückt wurde. Überhaupt wird dieses Thema totgeschwiegen. Was mich nur noch wütender macht. Leute, es ist keine Frage dass wir helfen. Es ist keine Frage, dass wir uns unseren Arsch aufreißen, ihn regelrecht riskieren. Wir tun das für die Menschen. Aber auch wir sind Menschen, keine Maschinen. Uns so müssen wir verdammt noch mal behandelt werden.
Gerade lehnen sich die Deutschen gegen die Zwangsrekrutierung allen medizinschen Personals auf. Für die PJler ist es längst bittere Realität. Statt Honorierung ernten wir einen Schlag ins Gesicht. Für unermüdlichen und unbezahlten oder schlecht bezahlten Einsatz. Für Ausbeutung erster Güte. Eigentlich müssten sämtliche Studenten den vorzeitigen Zwangsdienst verweigern und streiken. Bis sie wenigstens die Prüfung ablegen können, auf die sie sich monatelang vorbereitet haben. Bis sie wenigstens den Mindestlohn zugesprochen bekommen und die Quarantäne wie bei allen anderen auch angerechnet wird. Bis sie für das honoriert werden, was sie leisten.
Lasst die Klatscherei: erhebt eure Stimmen
Über das Klatschen werde ich an anderer Stelle ausführlicher sprechen. Soviel sei gesagt: es geht mir auf den Sack. Wir brauchen kein Geklatsche, wir brauchen JETZT eure Unterstützung. Wenn ihr so dankbar seid, dann tut etwas. Hört auf, über diese Zustände zu schweigen. Werdet laut, verlangt einen offenen Dialog. Stärkt uns den Rücken, indem ihr bessere Bedingungen für uns fordert. Ein kleiner erster Schritt ist die Unterschrift dieser Petition. Der zweite muss ein medialer Aufschrei sein. Und schreit es meinetwegen jeden Abend aus dem Fenster: WIR BRAUCHEN EIN FAIRES PJ! WO IST DER DANK, HERR SPAHN? FRAU MERKEL?
Das ist eine Unverschämtheit..
Aber alle heulen sie rum, dass wir einen Ärzte Mangel haben.
Unfassbar. Wo nicht jeder Bescheid weiß oder Hingucker, wird echt unglaubliches abgezogen. Ich werde gleich die Petition zeichnen und ich wünsche euch, dass sich doch noch schnelle Änderungen ergeben.