Zu Teil 3 geht es hier entlang
Ich hatte es geschafft. Endlich konnte ich meine kleine Maus in die Arme nehmen. Pascal half mir, mich auf den Rücken zu legen, damit ich ihn besser halten konnte. Wir kuschelten eine Runde, während die Plazenta wie von allein geboren wurde. Wenigstens etwas, dass schnell und unkompliziert geklappt hat. Leider hatte ich einige Verletzungen davongetragen und musste genäht werden. Schlimmer als die Geburt wird es schon nicht werden, dachte ich naiv. Und wurde sofort eines Besseren belehrt.
Ich hatte Anfangs bereits erwähnt, dass neben Leo auch noch zwei andere Kinder geboren werden wollten. Alle von der gleichen Hebamme und der gleichen Gynäkologin. Entsprechend gestresst, setze die Ärztin die Lokalanästhesie grob in die richtige Gegend und nähte direkt drauf los. Bevor das Schmerzmittel hätte wirken können. Am liebsten hätte ich mir die Nadel geschnappt und damit auf die Frau eingestochen. Zum Glück lag Leo noch auf mir. Sonst hätte ich jetzt wohl einen Eintrag im Vorstrafenregister.
Ach Leo, mein kleiner Buddha. Den hat weder die anstrengende Geburt, noch sonst etwas aus der Ruhe gebracht. Es war ihm auch egal, dass er vier Wochen vor dem errechneten Termin gekommen ist. Er hat mich einfach aus seinen Äugelchen kurz angeguckt. Aha, so siehst du also aus Mama. Und dann hat er getrunken wie ein kleiner Weltmeister. Ich glaube ja, dass die Erfahrungen und die Lebensumstände einen Menschen zwar formen und beeinflussen können – doch das Wesen, das Temperament wird mit dem Baby geboren.
Leo ist bis heute ein total tiefenentspanntes Kind. Abgesehen von den normalen kindlichen Entwicklungsprozessen (eigener Wille und so). Selbst wenn Ella nachts brüllt, dass einem die Ohren klingen, der kleine Mann pennt einfach weiter. Beneidenswert.
Erst heute, da ich diesen Bericht schreibe und wieder viel darüber nachdenke, fällt mir noch etwas anderes auf. Wie ich im Nachhinein weiß, hatte ich über Stunden hinweg Sturmwehen. Das bedeutet, ich hatte eine Wehe nach der anderen. Ohne Pause dazwischen. Kein Wunder, dass es mir so schlecht ging und ich dachte, das war’s jetzt. Es ist aber sehr wohl ein Wunder, dass Leo den Stress so gut weggesteckt hat. Für ein Baby sind die Wehen ebenso anstrengend wie für die Mama. Trotzdem sind Leos Herztöne die ganze Zeit über stabil geblieben. Mein kleiner tapferer Kämpfer. Wäre es anders gewesen, man hätte mich wohl ratzfatz in den OP geschoben und per Kaiserschnitt entbunden. Glück im Unglück, würd ich mal sagen.
Nach dem Nähen wurde Leo kurz gemessen und gewogen: über 3kg bei 51cm. Ich selber bin gerade mal 1,6m. Sehr viel größer hätte er (nach meinem Geschmack) also nicht sein dürfen. Auch sonst zeigte er sämtliche Reifezeichen, die man sich bei einem Neugeborenen nur wünschen kann. Anschließend wurden wir zum Kennenlernen allein gelassen. Wir hatten von Anfang an eine ambulante Geburt geplant, und ich freute mich einfach nur noch darauf, nach Hause zu fahren. Wir hatten sogar schon alle Jacken und Schuhe an, als die diensthabende Ärztin herein kam. Allerdings nicht mit den angekündigten Entlassungspapieren.
Ach, Frau Jahnz, ich hab nicht ganz so tolle Nachrichten für Sie. Ich kann Sie jetzt leider nicht nach Hause schicken. Da ist wohl was schief gelaufen hier. Der Leo ist ja ein bisschen zu früh auf die Welt gekommen und wir müssen den ganz dringend über Nacht beobachten. Es könnte sein, dass er nicht richtig trinkt und überhaupt, dieses RISIKOOO! Wo er doch ein FRÜHCHEN ist!
Jo. Das mit dem Geburtstermin fällt denen JETZT auf? Nach dem Entlassungsgespräch? Hallo? Und guckt euch den Kerl doch mal an! Das ist doch kein Frühchen, der ist putzmunter und saugt an mir, wie ein Alkoholiker an der Flasche. Vor ein paar Stunden hatten die doch höchstselbst seine Reife bescheinigt.
Ich hätte heulen können. Hab ich auch. Statt zu dritt heim zu fahren, sollte ich „alleine“ mit Leo hier bleiben. Im blöden Krankenhaus. Ohne Pascal. Ich hatte sowas von die Nase voll, das kann ich euch sagen. Mich nicht ernst nehmen, fast die ganze Geburt über allein lassen und nur von den anderen Räumen aus aufs CTG gucken. Mir unmittelbar vor der Geburt des Köpfchens noch sagen, dass ich keine Wehen habe. Nicht mal eine Minute Zeit nehmen, um die Anästhesie vorm Nähen wirken zu lassen. Und zu guter Letzt erst das Abschlussgespräch führen, um mich dann doch nicht gehen zu lassen. Was war hier nur los? Das war doch alles scheiße so!
Ich kann euch sagen, was da los war. Personalmangel. Unterbesetzung. Horrende Arbeitsbedingungen und falsche Vergütungskonzepte für die Geburtshilfe. Das war los. Ist es heute noch.
Hätte die Hebamme die Möglichkeit gehabt, mich 1:1 zu betreuen, dann hätte sie sicher bemerkt, dass ich tatsächlich Wehen habe. Sie hätte die Wehen nicht auch noch mit der Einleitung verstärkt. Ich hätte keine Sturmwehen gehabt. Sie hätte mich unter der Geburt unterstützen können. Sie hätten früher festgestellt, dass Leo vier Wochen vor dem Termin auf dem Teppich stand. Sie hätten das bereits morgens mit mir besprechen können, statt mich kurz vor der ersehnten Heimfahrt damit zu überrumpeln. Hätte, hätte.
An diesem Abend habe ich das jedoch noch nicht so klar sehen können. Ich hatte ein paar ziemlich harte Stunden hinter mir. Fühlte mich körperlich und seelisch verletzt und schlecht behandelt. Nicht ernst genommen und vernachlässigt. Ich war wütend und durch die Worte der Ärztin verunsichert. Auf keinen Fall wollte ich Leo gefährden, nur weil ich zu „schwach“ war und heim wollte. Also blieb ich dort und Pascal fuhr erst meine Mama und dann sich selbst nach Hause.
Meine erste Mahlzeit nach der Geburt, war eine eiskalte, trockene Scheibe Graubrot mit hartem Käse. Und bestimmt vier Liter Wasser. Ohne Witz, ich habe in dieser Nacht nichts anderes gemacht, als zu trinken. Ich habe gesoffen wie eine Kuh nach zehn Tagen Wüste. Bei diesem Anblick war mir das aber ziemlich egal:
Nach meiner Nachtwache wartete ich am nächsten Morgen sehnsüchtig auf Pascal. Der musste erstmal jemanden organisieren, der die Handwerker zu uns rein lässt und beaufsichtigt. Zum Glück konnten ganz liebe Freunde von uns einspringen. (Die Gleichen, die Sonntagnacht als erste wussten, dass es losgeht. Beide sind heute Leos und Ellas Paten. Lieben Gruß an dieser Stelle!)
Auf dem Weg zu mir hat Pascal sich wohl eher nicht so doll an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten. Aber psssst. Naja, dafür sind wir auf der Rückfahrt von mehreren Fußgängern überholt worden und haben zig Mal angehalten. Leo hätte sich ja verschlucken und ersticken können. Ich habe ihn während der gesamten Heimfahrt und auch fast die ganze Babyzeit, nicht aus den Augen gelassen. Als könnte er jeden Moment in die Luft gehen.
Erst nach und nach habe ich begriffen, was und warum da im Kreißsaal mit mir geschehen ist. Leo ging es super und ich war (bis auf ein paar Geburtsverletzungen) auch körperlich unversehrt. Die Aussage „Hauptsache, das Kind ist gesund“ finde ich persönlich zum Kotzen unangebracht. Es ist wichtig, wie ein Kind auf die Welt kommt. Und Geburtsverläufe, die nach außen hin vielleicht gar nicht so spektakulär wirken, können von der Frau trotzdem als traumatisierend erlebt werden. Auch eine ganz „normale“ Spontangeburt kann überwältigend sein. Blicke oder herabwürdigende Sprüche können ebenso Verletzungen hinterlassen, wie ein Skalpell beim Kaiserschnitt. Nur eben unsichtbar. Ob körperlich oder seelisch, jede Wunde braucht Zeit und Pflege für den Heilungsprozess.
Mir hat das Reden geholfen. Immer wieder habe ich mit Pascal die Geschehnisse durchgesprochen. Stimmte meine Wahrnehmung mit den Erlebnissen von Pascal überein? Hätten wir etwas anders machen sollen? Tragen wir die Schuld? Oder die Geburtshelfer? Trägt überhaupt jemand die direkte Schuld?
Letztendlich habe ich mein Trauma überwunden. Größtenteils vor Ellas Geburt. So ganz aber erst danach. Denn die zweite Geburt war ebenfalls überwältigend. Überwältigend schön.
Wie waren eure Geburten? Könnt ihr euch mit einem Lächeln erinnern, oder habt ihr auch schlimme Erfahrungen machen müssen? Wer seine Geschichte teilen möchte, schreibt sie auf und schickt sie mir per Mail 🙂