Brüste sind zum Stillen da
Kurz zu mir: Hallo, ich bin Alexandra und studiere aktuell im 10. Semester Humanmedizin. Außerdem befinde ich mich zur Zeit in Ausbildung zur Stillberaterin. Ich habe zwei Kinder (4 und 2). Die Kleine wird gestillt, der Große bekommt abgepumpte Muttermilch. Beide gehen seit dem ersten Lebensjahr in die Kita. So, jetzt kann’s losgehen:
Für den späten Mittwochabend hatte Stern TV eines meiner Herzensthemen für ihre Sendung angekündigt: Das Langzeitstillen. Mit zu Gast im Studio waren Sara Kulka (die Langzeitstillende), Juliette Greco (die Kurzzeitstillende) und die Kinderärztin Dr. Amelie Erbler als (vermeintlich) Fachkundige. Ich muss sagen, ich war doch sehr gespannt. Nach 20 Minuten folgten aber schnell Ernüchterung, Unverständnis und Ärger. Das Problem: schlechte, bis nicht durchgeführte Recherche und eine „Expertin“, die sicher Ahnung von pädiatrischen Krankheitsbildern vorweisen kann und einen recht sympathischen Eindruck auf mich machte – aber ganz eindeutig keine Ahnung vom Stillen, und scheinbar noch nie einen Blick in gewisse, für jedermann zugängliche WHO Empfehlungen geworfen hat. Auch die mehr oder minder gut versteckten Versuche des Moderators, die Gemüter zu erhitzen, habe ich zwar fast schon erwartet – angebracht fand ich diese dennoch nicht. And dieser Stelle möchte ich jedoch ein großes Lob aussprechen:
- An die drei Frauen, die sich (zur Überraschung des Moderators) nicht haben beirren lassen und ausschließlich respekt- und verständnisvoll miteinander ins Gespräch gegangen und geblieben sind!
- An Sara Kulka, die von allen mit Abstand das meiste Fachwissen an den Tag gelegt hat. Hätte man ihr mehr Redezeit zugestanden und sie nicht des Öfteren abgewürgt – sie hätte sämtlicher Kritik und Unwissen gegenüber dem (Langzeit-) Stillen den Wind aus den Segeln nehmen können! Danke Sara, dass du immer die richtigen Worte gefunden hast! Und dass, obwohl die Unwissenheit der Ärztin einem die Sprache hätte verschlagen können…
Trotzdem, zurück bleibt ein schlechtes Gefühl. Ein weiteres Mal wurde das Stillen als tolerable, alternative Ernährungsweise dargestellt. Als Etwas, das Frauen ruhig machen dürfen, wenn sie denn unbedingt wollen, das aber eigentlich nicht so wichtig und bei Kleinkindern schon ein wenig schmuddelig ist. Harte Fakten und die Wissenschaft wurden vor der Studiotür wohl abgewiesen. Diese und noch mehr möchte ich hiermit nachliefern. Meine Redezeit kann ich ja zum Glück selbst bestimmen. Wer weiterhin lieber rein emotional gegen das Stillen stänkern möchte, einfach wegklicken. Alle anderen sind herzlich zu einer konstruktiven und respektvollen Diskussion eingeladen!
Die Angst vor den Zähnen
Das erste Thema in der Runde: kann man Kleinkinder überhaupt stillen? Nagen die einem nicht die Brüste vom Leib? Die Frage kommt von Herrn Hallaschka. Einem Mann. Nun ich kann diesen Gedankengang verstehen. Nichtstillende Menschen wissen einfach nicht, wie sich das Stillen anfühlt und wie der Kindermund sich um die Brustwarze legt. Tatsächlich ist es so, dass der Unterkiefer beim Stillen von der Zunge überdeckt wird, sodass die unteren Zähne gar nicht erst mit der Brust in Berührung kommen. Beim Stillvorgang können die Kinder also nicht zubeißen. Die Zähne am Oberkiefer üben zwar Druck aus und können Abdrücke hinterlassen, allerdings sind diese genauso wenig schmerzvoll wie der Sog eines zahnlosen Babymundes.
Beißen passiert in manchen Fällen vor oder nach dem Stillen. Oft geschieht dies wegen Zahnungsschmerzen, oder Ärger, weil der Milcheinschuss noch nicht eingetreten ist. Auch ich bin schon gebissen worden und ja, das tut weh. Wichtig ist es dann, nicht laut aufzuschreien. Damit könnte man erstens das Kind erschrecken, sodass es vielleicht für eine Weile die Brust verweigert. Zweitens fiele das eventuell in die Kategorie „Ursache -Wirkung –Prinzip“ erforschen. Das Kind versteht aufgrund sich noch entwickelnder Hirnreife nicht, dass die Mama Schmerzen hat (Perspektivwechsel) . Aber es wird immer wieder testen wollen, ob nach jedem Biss auch immer ein Schrei erfolgt. Ist ja eine sehr spannende Reaktion.
Am besten entzieht man nach dem Biss kurz die Brust und bittet das Kind mit ruhigen, einfachen Worten, damit aufzuhören“. So verbindet das Kind mit dem Beißen: Aha, da passiert nichts Spannendes, aber die Brust ist weg. In den meisten Fällen hört das Beißen an der Brust schnell auf. Manchmal ist das Beißen auch ein Weg, denWunsch nach Aufmerksamkeit zu äußern. Viel Blickkontakt und Zugewandtheit auch außerhalb der Stillmomente sind in diesem Fall wichtig und heilsam. Für beide Seiten.
Natürlich gibt es immer Ausnahmen. In diesen Fällen können wir froh über die Errungenschaft der Pulvermilch sein. Und selbstverständlich sollte keiner Frau ein Vorwurf gemacht werden, wenn sie Abstillen möchte! Es sollte nur nicht aus falscher Angst, fehlender Aufklärung oder Unterstützung heraus geschehen.
Alles in Allem beißen dennoch die wenigsten Stillkinder. Wenn ich von mir selbst berichten darf: ich habe nun insgesamt 3,5 Jahre Stillzeit hinter mir und wurde insgesamt zwei Mal gebissen. Beide male von meiner sehr temperamentvollen Tochter. Ich möchte mich zum Schluss Sara Kulkas Antwort anschließen: Seit Jahrtausenden werden wir Menschen gestillt und mussten ohne Pulvermilch oder ähnlichem auskommen. Würde jede Mutter so schlimm gebissen, sobald die Säuglinge zu Zahnen beginnen, wären wir wohl tatsächlich ausgestorben.
Frikadelle und Milch
Stillen isoliert die Mutter oder beschränkt ihre „Freiheit“ – wer isoliert hier wen?
Ihr erstes Kind hat Juliette Greco einige Wochen mit der Brust gestillt, bevor sie sich für das Stillen mit der Flasche entschied. Für sie und ihre Familie war dies der richtige und entspannteste Weg und ich möchte an dieser Stelle sagen: Juliette, du weißt am besten, was das Richtige für euch ist. Lass dir von niemandem ein schlechtes Gewissen einreden!
Der Hauptgrund für die kurze Stillzeit war der schnelle Wiedereinstieg in die Arbeitswelt. Das Abpumpen am Arbeitsplatz ist in vielen Fällen gut möglich. Ich selbst habe es so gemacht. Manchmal ist es aber tatsächlich schwierig, weil die Arbeitszeiten sehr unregelmäßig sind und/oder der Arbeitsplatz nur unzureichende Rückzugsmöglichkeiten bietet. Gesetzgebung hin oder her, so ist die Realität. Außerdem, und das kann ich bestätigen, ist es ein mehr oder minder großer Stressfaktor. Für die Mutter kann das häufige Abpumpen und kühlen der Milch anstrengend sein, für die Betreuungsperson ist die Verwendung von Pulvermilch vielleicht leichter in den Alltag mit Kind zu integrieren. Auch an dieser Stelle sind Vorwürfe daher absolut fehl am Platz!
Jede Familie lebt anders, jede Familie hat andere Möglichkeiten und setzt ihre eigenen Prioritäten.Wer unbedingt Stillen möchte, muss aber keineswegs seine Freiheiten aufgeben oder sich ins stille Kämmerlein zurückziehen. Ich habe an dieser Stelle schon einmal darüber geschrieben und zitiere mich einfach mal selbst:
Auch die Rückkehr zum Arbeitsplatzist durchaus möglich, wenn weiterhin gestillt werden möchte. Jeder Mutter stehen rechtlich zusätzliche Pausenzeiten zum Stillen oder Abpumpen zu. Ich selbst habe es drei Monate nach der Geburt des Großen so gemacht. Wer auf der Arbeit nicht abpumpen oder stillen möchte, der kann immer noch in Teilzeit stillen. Der Tag hat schließlich 24 Stunden. Die Brust zu geben, stellt daher kein Muss für eine lange Elternzeit dar. Und keine (teilzeit-) stillende Frau ist gezwungen, länger daheim zu bleiben, als sie möchte.
Hier beginnt sogar das gegenteilige Problem: Frauen, die über den sechsten Lebensmonat, oder gar das erste Babyjahr hinaus stillen, werden keinesfalls bewundert und hochgelobt. Da ist keine Rede mehr von „eine gute Mutter stillt“. Viel eher haben diese Frauen das Gefühl, sich verstecken oder rechtfertigen zu müssen.
Rechtfertigen, sich verstecken müssen. Viele Mütter, die über die ersten sechs Monate hinaus stillen, kennen diese schiefen Blicke, blöde Sprüche oder das Gefühl, nur noch heimlich in den eigenen vier Wänden stillen zu dürfen. Es ist nicht das Kind, das uns die gesellschaftliche Teilhabe schwermacht. Es ist die Gesellschaft selbst. Diese seltsam verquere Einstellung dem Stillen gegenüber. Eine der natürlichsten Dinge der Welt. Warum wird das „Langzeit-“ Stillen als „nicht angebracht“ oder gar „ekelhaft“ angesehen? Was ist da schiefgelaufen? So einiges. Dieses Thema verdient aber einen eigenen Artikel, daher fasse ich mich kurz:
- Das wirtschaftliche Interesse an der Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten ist groß, ebenso der Einfluss, den die Lobby mehr oder weniger subtil auf uns alle ausübt. Angefangen von der Finanzierung von Studien, bis hin zu bunten Prospekten in Kinderarztpraxen – nur um an der Oberfläche zu kratzen. Mit dem Stillen dagegen lässt sich kaum Geld verdienen. Mit unabhängigen Studien auch nicht.
- Sex sells: Die Frau als Sexobjekt. Die weibliche Brust ist eines der werbewirksamsten Mittel überhaupt. Von vielen Zeitungen, Plakaten und Profilbildern blitzen uns gepushte Busen und Frauen in freizügigen BHs entgegen. Man kommt nicht an ihnen vorbei und in den Köpfen manifestiert sich folgende Vorstellung: Die Brust ist ein sexuelles Objekt. Für Neugeborene wird großzügig eine Ausnahme gemacht, die bekommen ja noch nicht wirklich mit, woran sie da saugen. Sobald das Kind aber erste Anzeichen eines „richtigen“ Menschen aufweist, wird das Stillen zum Tabu. Verrückt, aber wahr. Da kann ich nur sagen: BRÜSTE SIND ZUM STILLEN DA. Wer das Stillen sexualisiert, sollte das Problem bei sich selbst suchen, nicht bei Mutter und Kind. Die denken dabei nämlich an alles Mögliche, aber nicht an Sex. Das heißt natürlich nicht, dass Brüste beim Sex keine Rolle spielen! Beim Stillen tun sie das aber definitiv nicht. Der Mensch ist ein Säugetier, kein Sextier. Denkt mal drüber nach.
Genau aus diesen Gründen ist es umso wichtiger, sich für das Stillen stark zu machen, und mit den alten Bildern und Vorstellungen aufzuräumen. Stillen braucht eine Lobby! Stillen gehört in die Mitte der Gesellschaft!
Noch ein paar Worte zur Freizeitgestaltung. Wer gerne ausgehen oder ein Wochenende mit den Partner verbringen möchte, der kann dies auch während der Stillzeit tun. Bei längerer Abwesenheit kann eine Milchpumpe behilflich sein. Gerade bei älteren Stillkindern sind die Stillabstände ohnehin größer, sodass dem abendlich Ausgehen oder dem „Plausch mit Freundinnen“ nichts im Wege steht. Dabei ist auch durchaus der Genuss des Gläschchen Weins erlaubt, solange danach eine Stillpause von 2- 2,5 Stunden eingelegt wird*20. Bei Unsicherheiten und Fragen kann eine Stillberaterin wertvolle Hilfe leisten. Wem all das nicht zusagt: Teilzeitstillen oder Abstillen. Eine glückliche Mama ist viel wichtiger als eine stillende Mama. Da sind wir uns wohl alle einig!
Stillen mit der Flasche
Gestillte Kinder schlafen un/ruhiger
Auftritt von Frau Dr. Erbler. Sie soll ihre Einschätzung zum Thema Nachtschlaf abgeben. Zunächst erzählt sie von ihrem Eindruck, dass besonders stillende Mütter über viele nächtliche Unterbrechungen klagen. Ganz korrekt erklärt sie das Schlafverhalten von Kindern (und Erwachsenen): durch mehrmaliges Aufwachen wird die Umgebung auf Sicherheit und etwaigen Gefahren kontrolliert. Wir Erwachsenen schlafen sofort wieder ein, wohingegen die Kleinen des Öfteren unsere Hilfe dabei benötigen. Viele Eltern kennen das. Dass das Stillen dabei ein Hindernis sein soll, kann Frau Dr. Erbler aber nicht so ganz erklären. Ja, das Kind verlangt vielleicht nach der Brust, die Mama ist also gefragt. Allerdings hat das Stillverhalten an sich nichts mit dem Aufwachen zu tun. Wie Sara Kulka bereits einwirft, ist das Schlafverhalten von Kind zu Kind unterschiedlich und hat viel mit der inneren Uhr und dem Temperament des Kindes zu tun. Sogar Dr. Erbler nimmt ihre Aussage zurück und stimmt zu: „Ja, das ist eigentlich super individuell“. Ihren halben Satz über „Schlaftraining“ haben zum Glück scheinbar alle überhört. Dieses Fass möchte ich daher an dieser Stelle nicht öffnen…
Ein paar Fakten über das Stillen in der Nacht und Co-Sleeping
- Kinder, die in der Nacht gestillt werden, schlafen in der Regel auch mit im Familienbett. Wachen diese Kinder nachts auf, stellen sie noch im Halbschlaf fest, dass Mama und Papa ganz in der Nähe sind und finden wesentlich schneller wieder in den Schlaf, als Kinder in einem eigenen Zimmer. Ebenso müssen die Eltern nicht extra aufstehen, um das Kind zu beruhigen.
- Das beim Stillen ausgeschüttete Oxytocin und Prolaktin, hilft Mutter und Kind dabei, schnell wieder einzuschlafen.
- Kinder, die nicht gestillt werden, haben ein erhöhtes Risiko, am plötzlichen Kindstod zu sterben. *1
Das natürliche Abstillalter – WHO? Kennen wir nicht…
Zu der „ominösen“ Regel und den Empfehlungen des natürlichen Abstillalters: Liebe Frau Dr. Erbler, liebes Team von Stern TV ich präsentiere: Empfehlungen der WHO für die Ernährung gestillter Kinder
Die WHO empfiehlt, Babys 6 Monate lang (180 Tage) ausschließlich zu stillen, d.h. ohne weitere Speisen und Getränke außer Muttermilch zu ernähren. In den ersten sechs Monaten konnten nämlich keine nachteiligen Effekte des ausschließlichen Stillens auf das Wachstum beobachtet werden, wenn die Mutter nicht unterernährt war. Ausschließliches Stillen bietet in dieser Zeit mehrere Vorteile für Kind und Mutter. Das Kind erhält einen besseren Schutz des Magen-Darm-Traktes vor Infektionen. Außerdem wurde bei Säuglingen, die sechs Monate ausschließlich gestillt wurden, eine bessere motorische Entwicklung beobachtet. […],
Häufiges Stillen nach Bedarf sollte mindestens bis zum Alter von zwei Jahren fortgesetzt werden, da Muttermilch weiterhin eine wichtige Quelle für viele Nährstoffe ist. Muttermilch ist während Erkrankungen des Kindes besonders wichtig, wenn das Kind das Essen verweigert, nicht aber die Brust. Stillen schützt in diesen Phasen vor einer Austrocknung und bietet die notwendigen Nährstoffe für die Genesung. Weiterhin wurde eine längere Stilldauer mit einem geringeren Risiko chronischer Erkrankungen und Übergewicht im Kindesalter und mit verbesserten kognitiven Leistungen in Verbindung gebracht
Die Weltgesundheitsorganisation hat sich diese Empfehlungen übrigens nicht einfach aus den Fingern gesogen. Sie basieren auf zahlreichen Studien. Ein paar davon habe ich für euch zusammengefasst:
Stillen ist gesund fürs Kind
Zunächst ein paar Zahlen zur Kindersterblichkeit im Zusammenhang mit Stillen:
- Jedes Jahr sterben schätzungsweise über eine Millionen Kinder, weil sie nicht gestillt werden.
- In den USA beträgt die Anzahl der Kinder 720 pro Jahr *2
- 13% aller kindlichen Todesfälle innerhalb von 5 Jahren sind auf Nichtstillen zurückzuführen. Das Stillen schützt demnach am effektivsten und preiswertesten vor Kindersterblichkeit*3.
Zudem unterstützt die Muttermilch auf vielfältige Weise die Kindergesundheit. Ein paar Beispiele:
- Magen-Darm-Trakt: Antikörper, Enzyme und bestimmte Kohlenhydrate helfen beim Aufbau wichtiger Darmbakterien und schützen vor nekrotisierender Enterokolitis*4 bei Frühgeborenen, Durchfällen und anderen Magen-Darm-Erkrankungen*5.
- Weiterhin schützen spezifische Antikörper gegen Atemwegs- und Gefäßerkrankungen, Mittelohrentzündungen, Diabetes, Übergewicht und Krebserkrankungen *5*6 *7 *8
- Das beim Stillen ausgeschüttete Oxytocin festigt die Mutter-Kind Bindung, beruhigt und hilft beim Einschlafen. Das Hormon fördert die emotionale und körperliche Entspannung.
- Das Saugen an der Brust fördert die Kiefer- und Zahnentwicklung. Nichtgestillte Kinder benötigen häufiger Unterstützung durch z.B. Logopädie *9
Übrigens: die „paar Antikörper“ in der Muttermilch, die Stillkinder auch nach dem ersten Lebensjahr noch mitbekommen, sind nicht zu unterschätzen. Die Krankheitstage meiner Kinder pro Jahr kann ich an einer Hand abzählen. Eine Hand für beide, wohlgemerkt. Und dass, obwohl sie beide seit dem jeweils ersten Geburtstag in die Kita gehen. Wollte ich nur mal erwähnt haben…
Stillen ist gesund für die Mutter
Auch auf Herrn Hallaschkas Nachfrage, ob denn das Stillen auch für die Mutter von Vorteil ist, konnte Frau Dr. Erbler nicht weiterhelfen. Schade, denn auch hierzu gibt es fundierte und eindeutige Erkenntnisse aus der medizinischen Forschung:
- Die Oxytocinausschüttung unterstützt besonders in den ersten Tagen die Rückbildung der Gebärmutter.*10 Bei Nichtstillenden Frauen tritt die Rückbildung deutlich verzögert ein.*11
- Jedes Stilljahr senkt das Brustkrebsrisiko um ca. 5%*12. Bei Nichtstillenden Frauen ist das Risiko im Vergleich zu Stillenden erhöht*5.
- Das Risiko an Eierstockkrebs zu erkranken, ist bei Nichtsillenden signifikant erhöht*6, ebso das Auftreten von Diabetes Typ 2*13
- Langzeitstillen senkt das Risiko von Herz- oder Gefäßerkrankungen*14.
Säuglingsnahrung – gut, aber nicht das Beste fürs Kind
„Säuglingsnahrung ist vollwertiger Ersatz für Muttermilch. Wäre der Zugang in Dritte Welt Ländern besser, würde man auch dort nicht so lange stillen“.
So Frau Dr. Erbler. Mit dieser Aussage bin ich nun absolut sicher: Diese Dame hat sich kein bisschen mit der Thematik auseinandergesetzt, so wie man es von einer Ärztin erwarten sollte, die für eine Diskussion über das Stillen ins Studio eingeladen wird. Von der Beratung frischgebackener Eltern mal ganz abgesehen. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass sie die Aussagen hübscher Flyer von Hipp/Alete und Co zitiert. Eines ist sicher: Muttermilch ist einmalig. Selbst die beste Pulvermilch kann ihr nicht das Wasser reichen. Von den weiter oben gelisteten Inhaltsstoffen der Muttermilch, ist keine einzige in der künstlichen Milch enthalten. Sämtliche positiven Effekte entfallen damit schon einmal.
Zudem gab es – ganz besonders in Dritte Welt Ländern – in der Vergangenheit einige Todesfälle. Bei einigen war mangelnde Hygiene die Ursache 15, bei anderen führten im Pulver enthaltende Krankheitserreger*16 oder Schadstoffe*17zu Todesfällen. Andere Kinder starben durch einen Mangel an Vitaminen*18.
Im Vergleich zur Formulamilch, sind die Inhaltsstoffe der Muttermilch leichter verdaulich und fördern die Resorption von Spurenelementen (z.B. Eisen), wobei sie gleichzeitig wesentlich nierenschonender vom Körper ausgeschieden werden können*5. Vom Geschmack einmal ganz abgesehen: während die angerührte Milch immer gleich schmeckt, verändert sich der Geschmack der Muttermilch. Je nachdem, was gerade auf dem Teller der Mutter gelandet ist. So lernen die Stillkinder schon früh verschiedene Geschmäcker kennen und entwickeln bei der Beikosteinführung seltener Abneigungen gegen bestimme Lebensmittel.
Die ökologischen Aspekte (Müll, Abgase etc.) und die Kosten, die bei der Herstellung von Pulvermilch entstehen, erwähne ich nur am Rande.
Was ich damit sagen möchte
So, das waren nun viele Zahlen und Fakten. Vielen Dank an alle, die bis hierher durchgehalten haben! Es war und ist mir einfach ein starkes Bedürfnis, das Stillen aus der staubigen Ecke wieder in die Mitte des Raumes zu holen, da wo es hingehört. Manchmal frage ich mich, warum aus einer so normalen und natürlichen Sache eine dermaßen umstrittene und vieldiskutierte Angelegenheit gemacht wird. Stillen gehört zum Leben dazu, fast jeder von uns wurde gestillt. Bis zum 20. Jahrhundert buchstäblich jeder Einzelne!
Natürlich verändert sich unsere Welt und auch die Werte und Normen der Gesellschaft. Unsere Großmütter und Mütter haben sich für die Gleichheit der Frau stark gemacht. Wir tun es noch heute. Die Frau ist nicht mehr „das Heimchen am Herd“. Die moderne Frau studiert, macht eine Ausbildung und geht arbeiten. Sie setzt sich für gleiche Löhne und geteilte Hausarbeit ein. Unsere Generation definiert sich zunehmend über den beruflichen Erfolg und möchte gleichzeitig so viel freie Zeit wie möglich zur Verfügung haben. Selbstverwirklichung, Emanzipation, neue Rollenbilder – die Frau soll ihren Mann stehen dürfen. Das ist heute wichtig. Dennoch, nur Frauen können Kinder gebären und nur Frauen können Stillen. Genauer betrachtet ist das doch ein sehr großes Privileg und eine sehr wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe. Warum sollte es altmodisch oder ekelhaft sein, wenn Frauen sich selbstbestimmt dafür entscheiden, so lange zu Stillen wie es Kind und Mutter möchten und guttut? Die Baby- und Kleinkindzeit ist so schnell vorbei und nimmt insgesamt einen so kleinen Teil unseres Lebens ein. Jeder sollte das Recht haben, diese prägende Zeit so zu gestalten, wie er es möchte. Stillend oder Nichtstillend. Das ist für mich Emanzipation: die Freiheit, über seinen Körper und die eigene Lebensgestaltung bestimmen zu können. Ohne dafür von der Gesellschaft abgestraft zu werden, weil man zuhause bleibt, weil man direkt wieder arbeiten möchte, weil man nicht stillt, weil man lange stillt.
Die Studienlage zeigt: Stillen ist gesund und sollte gefördert werden. „Langzeitstillen“ ist etwas ganz natürliches, hat nichts mit Sex zu tun und auch nichts mit klammernden Müttern oder Kindern. Wenn ein Kind nicht mehr stillen möchte, dann stillt es nicht mehr. Selbst, wenn es für die Mutter zunächst traurig sein mag. Jedes Kind wird sich, wenn es so weit ist, selbst abstillen. Es ist ebenso ein Prozess, wie das laufen- oder sprechen lernen.
Schlussendlich hat jede Frau das Recht, sich gegen das Stillen mit der Brust, sondern für das Stillen mit der Flasche zu entscheiden. Dabei kann genauso gekuschelt werden, genauso viel Liebe, Geborgenheit und Aufmerksamkeit geschenkt werden. Jede Familie, jede Frau möchte das Beste für ihr Kind. Und jede Familie darf und soll selbst entscheiden, welcher Weg für sie der richtige ist. Punkt!
Also bitte: Keine Ammenmärchen mehr, keine unqualifizierten Kommentare und Abwertungen! Mehr Toleranz für alle Brust-Stillenden! Mehr Toleranz für alle Fläschchen-Stillenden!
Ich gehe jetzt abpumpen, meine Kinder sind nämlich gerade außer Haus und ich habe sturmfreie Bude. Den ganzen Tag!
PS: bei der nächsten Diskussion im TV bitte mit einer ausgebildeten Stillberaterin.
Herzliche Grüße,
Eure Alexandra
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Quellenangaben*19:
*1 Vennemann, MM, Bajanowski T, Brinkmann B, JorchG, et. Al. Does Breastfeeding Reduce the Risk of Sudden Death Syndrome? Pediatrics 2009;123: e406-e410
*2 Breastfeeding and the Risk of Postneonatal Death in the United States. Pediatrics 2004;113:e435-e439
*3 Jones G, Steketee R, Black R, Bhutta Z, MorrisS, and the Bellagio Child Survival Study Group. Child Survival II: How many child deaths can we prevent this year? Lancet 2003;362: 65-71
*4 Lucas A, Cole TJ, Breast milk and neonatal necrotising enterocolitis. Lancet 1990; 336: 1519-1523
*5 Labbok MH. Effects of Breastfeeding on the mother. Ped. Clin Noth Am 2001; 48: 143-158
*6 Agency for Healthcare Research and Qualitiy, U.S. Department of Health and Human Services. Breastfeeding and Maternal and Infant Health Outcomes in Developed Countries. USA 2007
*7 Hannan A. Regional Variation in Public opinion about breastfeeding in the Unites States. J. Hum. Lact. 2005; 21.248-288
*8 Lawrence RA, Lawrence RM. Breastfeeding: A guide for the medical professions. Mosby Company, USA, 2005
*9 Palmer B. The Influence of Brestfeeding on the Developement oft he Oral Cavity: A Commentary. J. Hum Lact 1998, 14:93-98
*10 Unväs-Moberg K. The Ocytocin Factor. Da Capo Press 2003
*11 Perl FM. Kurz- und mittelfristige Effekte des Stillens auf die Gesundheit der Mutter. / Frühkindliche Ernährung und reproduktive Gesundheit. Deutscher Ärzteverlag 2003
*12 Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer. Lancet 2002; 360: 187-195
*13 Duration of Lacation an Incidence of Type 2 Diabetes. JAMA 2005; 294 :2601-2610
*14 Radford A. Die Ökologischen Auswirkungen der Flaschenernährung. Beilage zum AFS-Rundbrief 9/97 Würzburg 1997
*15 Home preparation of powdered infant formula: is it safe? Acta Paediatrica 2008; 97: 1131-1132
*16 Food and Agriculture Organization oft he U.S. and the WHO. Enterobacter sakazakii and Salmonella in infant formular. Sitzungsberich tRom 2006
*17 Bundesgesundheitsamt Berlin: Presseerklärung vom 24.04.1990
*18 FAZ Sojamilch zurückgezogen. Vorkehrung nach Todesfällen von drei Säuglingen in Israel. 11.11. 2003
*19 Stillen und Stillprobleme, AFS, 4.Auflage
*20 Alcohol Use During Breastfeeding, Philip O. Anderson, Published Online:1 Jun 2018 https://doi.org/10.1089/bfm.2018.0053
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